Schneller, digitaler, effizienter. Was passiert, wenn alle Prozesse restlos optimiert sind?
Judith von Sympatexter rief in einer Blogger-Challenge dazu auf, darüber nachzudenken, was wir eigentlich in unserem Leben bewirken möchten.
Lange habe ich darüber nachgedacht.
Und ja, es gibt da so eine Sache, die mir sehr am Herzen liegt, seit ich selbst Mama bin:
Unsere Kinder stehen im Gegensatz zu uns unter einem enormen Optimierungs- und Effizienzdruck.
Die digitalen Fortschritte drehen unsere Welt immer schneller. Alles muss effizienter und perfekter werden.
In diesem Artikel schreibe ich darüber…
- … wie ich selbst zur Effizienz-Queen wurde
- … auf welche krasse Herausforderung ich stieß
- … warum ich die Notbremse gezogen habe
- … und warum mir es so wichtig ist, dass meine Kinder den mentalen Freiraum genießen dürfen, auch mal etwas langsam zu machen
Vielleicht erkennt ihr euch in diesem Artikel wieder 🙂
Und vielleicht kann ich damit ein bisschen Mut machen, sich ab uns zu auch mal eine Portion „Ineffizienz“ zu gönnen.
Und (hoffentlich) gebe ich eine Portion Motivation an alle Eltern mit, die Kinder mehr analoge Inspirationen zu geben, um nicht schon zu Jugendzeiten in den mentalen burnout abzurutschen….
Das gibt´s hier zu lesen:
Vor ca. 25 Jahren löste mein technischer Gesamtleiter mit diesem einen Satz den Selbstoptimierungs-Turbo aus…
1997 – 1999 lernte ich bei dem kleinen Lokalfernsehsender TV touring in Schweinfurt Kameraführung und Bildschnitt. Ich war superstolz, dass ich als einzige Frau in der Technik den begehrten Platz am nigelnagelneuen Computer mit dem digitalen Videschnittprogramm bekam. Statt analog mit zwei Zuspielgeräten zu schneiden durfte ich mich mich schon damals mit den ersten digitalen Übergangseffekten austoben.
Die Herausforderung: Der Zeitdruck!
Um 18 Uhr startete die Sendung.
Bis dahin musste das Sendematerial fertig sein.
Keine Sekunde später. das
Also lernte ich, die Computermaus akkurat und vor allem schnell zu steuern.
Eines Tages kam der gesamttechnische Leiter aus unserem Mutterhaus in Würzbug zu uns nach Schweinfurt zu Besuch.
Und er sah mir eine Weile beim Videoschnitt am Computer zu:
„Oha, du bist aber fix mit der Computermaus!“
… ich wuchs vor Stolz mindestens 3 gefühlte Zentimeter…
„Aber du könntest doppelt so schnell sein….“
Bämm. Das saß.
Ich war verblüfft, dass noch mehr geht und wollte natürlich sofort wissen, wie das möglich sei.
Und durfte ich nach Würzburg in das Mutterhaus fahren und dem dortigen Star-Grafiker über die Schulter schauen.
Und sofort wurde mir klar, was genau der Hebel zu mehr Geschwindigkeit ist:
Wenn ich die Mausbewegung mit der Tastatur in Form von Shortcuts kombiniere, bin ich in der Tat mindestens doppelt so schnell.
So begann das schwäbische Sekundenzählen – denn auch einzelne Sekunden werden irgendwann zu Minuten, zu Stunden und zu Tagen.
Also fing ich an, die Tastenkürzel zu trainieren.
Bei Videoschnittprogrammen gibt es ziemlich viele.
Deswegen nahm ich mir jeden Tag eine neue Tastenkombination vor, die ich systematisch in mein Repertoire aufnahm
Schnell spürte ich, wie ich tatsächlich immer schneller wurde.
Nach den ersten verblüfften Reaktionen meiner Kollegen wurde ich geradezu süchtig nach zeitlicher Optimierung
Sehr schnell erkannte ich den Mehrwert, kleine Prozesse sekundenweise zu optimieren. Denn diese kleinen unscheinbaren Sekunden summierten sich schnell zu Minuten und auch zu Stunden.
Doch irgendwann stieß ich an die Grenzen der und der Kopf begann zu rauchen…..
Nach wenigen Wochen schnippelte ich als ungeschlagene Geschwindigkeits-Queen die Fernsehbeiträge und erntete immer wieder viel Lob.
Nach meinem Volontariat bei TV touring studierte ich BWL und profitiert im Studium enorm von meiner Geschwindigkeit am PC. Und auch bei meiner ersten Festanstellung brachte ich meine Shortcuts meinen Azubis bei, die ebenfalls zu Effizienz-Freaks wurden.
2006 wagte ich den Sprung ins kalte Wasser und machte mich selbständig.
Auf einmal wurde ich nicht mehr nach Zeit, sondern nach abgearbeiteten Projekten bezahlt.
Das war für ich der Grund, das Thema „Effizienztuning“ erneut auf meine Agenda zu setzen.
Und so hielt ich immer wieder die Augen offen nach Tools und Automatisierungsmöglichkeiten, um noch schneller und. noch effizienter am Rechner zu werden.
Mein Fazit: Schnelligkeit und Effizienz kosten definitiv mehr Energie.
Irgendwann stieß ich schmerzhaft an meine Grenzen.
Ich war permanent ausgelaugt und müde.
Stundenlang brütete ich über leere Photoshopdateien und kam nicht in den kreativen Flow…
Es dauerte einige Monate, bis mir klar wurde, wo das Problem liegt:
Unser menschliches Gehirn hat einen begrenzten Energielevel.
Täglich 10 Stunden mit voller Power die Kreativität anzuzapfen funktioniert auf Dauer nicht. Irgendwann brauchen unsere Gehirnzellen eine wohltuende Auszeit.
Immer Vollgas zu geben führt direkt in die mentale Wüste…
Nach dieser Erkenntnis analysierte ich, wieso ich mich früher nicht so mental ausgelaugt gefühlt habe.
Warum die Effizienzoptimierung uns heute im digitalen Zeitalter auf den direkten Weg in den mentalen Overload führt….
1997 habe ich viel gearbeitet.
Teilweise 65 Stunden die Woche.
Trotzdem hatte ich am Feierabend noch Energie, um mich mit Freunden zu treffen, meinen Hobbies zu frönen oder ein Buch zu lesen.
Warum als ging das 2020 nicht mehr?
Schließlich hat die Technik mir viel Arbeit durch Automatisierung abgenommen.
Und genau darin lag das Problem:
Weil mein Gehirn schlussendlich nur noch für die richtig gedanklich anspruchsvollen Tätigkeiten benötigt wurde, sank mein mentaler Energielevel komplett auf Null.
Ich kann nicht jeden Tag meinen Hirnschmalz auf superduper-kreativ und innovativ einstellen.
Meine Gehirnzellen brauchen auch mal eine Auszeit.
Einfach mal nichts erfinden oder kreieren müssen.
Stattdessen einfach mal banale Themen „abarbeiten“
Quasi einfach mal „machen“ ohne „denken“.
Heute habe ich meinen mentalen Energielevel im Blick.
Und ich „gönne“ mir auch zwischendurch einfache Routinetätigkeiten.
Ohne, dass die Uhr im Hintergrund tickt.
Die unscheinbare aber große Herausforderung für uns Menschen im digitalen Zeitalter – und was das vor allem für unsere Kinder bedeutet.
Unsere Kinder stehen vor einer völlig anderen Herausforderung:
Im Gegensatz zu uns kennen Sie die Welt ohne digitalem Informationsüberfluss nicht.
Jede Minute wird gefüllt mit Unterhaltung oder Information.
Einfach mal die Gehirnzellen baumeln lassen kennen unsere Kids quasi nicht.
Und genau da kommen wir zur Quintessenz dieses Artikels:
Ich möchte uns motivieren, öfters mal ein paar Stunden Ineffizienz zu genießen.
Und das wir vor allem unseren Kindern ein Vorbild sind und nicht immer gestresst und unter Zeitdruck durch den Tag hetzen, um am Abend apathisch auf dem Sofa zu landen.
Mein Ziel ist es, dass wir unseren Kindern verstärkt zeigen, wie schön das analoge echte Leben sein kann.
Damit sie die wohltuende kreative Leichtigkeit verspüren, die es eben nur gibt, wenn man nicht jede freie Sekunde mit dem Smartphone füllt.
Im nächsten Blogartikel bereite ich eine kleine Liste an Ideen vor, wie ihr eure Kinder überzeugen könnt, das Smartphone beiseite zu legen, um wieder am echten Leben teilzunehmen 🙂
Wenn das spannend klingt, trage dich gerne in meine Binär-News ein, dann sende ich eine Mail, sobald der Blogartikel online ist 🙂